Eine Kurzgeschichte von Romy Marienfeld
Tauche für ein paar Minuten ab in eine andere Welt. In die Welt einer Meerjungfrau, die verstoßen wurde und sich ihren Weg zurückkämpfen will. In die Welt des Sehers Wilk, der durch das Treffen mit Miruna nicht mehr so wie früher ist.
Miruna glitt sanft durch die Wellen. Sie war schon oft in diesen Gewässern unterwegs gewesen. Für gewöhnlich verirrte sich niemand in diese Gegend. Ganz ungestört konnte sie hier auf den Sandbänken darüber nachdenken, was sie als nächstes tun sollte.
Kein Weg zurück
Die Meerjungfrau Miruna war die älteste Tochter der tyrannischen Königin des Seevolkes. Jedoch wurde sie durch die zweit jüngere Schwester vertrieben. Jahrelange Intrigen und Vorwürfe hatten sich schleichend in den Köpfen der Familie festgesetzt, dunkle Gedanken genährt und jegliches Vertrauen in dicke Oktopusstinte verwandelt. Dazu brauchte es keine Magie. Bittere Worte genügten, um Miruna von ihrem Platz als Thronfolgerin zu verjagen. Nur ihre Meerjungfrauenkrone war ihr noch geblieben.
Fernab ihres Zuhauses wuchs Miruna allein in den Weiten der Seen, Flüsse und Ozeane auf. Zurück konnte sie nicht, die Königin hatte die Grenzen des Landes verzaubert, sodass Miruna sie nicht durchschwimmen konnte. Versucht hatte sie es, doch vergeblich. Allerdings wirkte der Zauber jedes Mal etwas anders, schwächer, auf Miruna. Sie erfuhr von einem Seeigel, der den Zauberspruch der Königin mit angehört hatte, dass der Zauber nur bis zu einem bestimmten Alter aufrechterhalten werden konnte. So musste Miruna warten. Lange warten. Sehr lange warten.
Miruna wurde langsam erwachsen und war eine kluge Meerjungfrau. Schon als sie als kleines Kind vertrieben wurde, schwor sie sich, zurückzukehren sobald der Zauber der Grenzen verstorben sein würde. Auch wenn es Jahrzehnte dauern sollte.
Die Meerjungfrau schmiedet einen Plan
Und so kam es, dass sie Freunde in den Gewässern der Welt fand. Sie halfen Miruna, im Unbekannten zu leben und unerkannt zu reisen. Sie schwamm meilenweit, um Verbündete zu finden.
Sie sprach mit unzähligen Anführerinnen anderer Seevölker, die früher mit Mirunas Volk verfeindet waren. Ein paar versprachen Miruna, sie bei ihren Plänen, den Thron zurück zu erlangen zu unterstützen, wenn sie eine friedliche Regentschaft führen wolle. Sie wollten Kriegerinnen aussenden, damit Miruna ein Heer aufbauen konnte. Wenn die Anführerinnen ihr aber nicht zur Seiten stehen wollten, suchte Miruna dennoch heimlich in den Reihen der Kriegerinnen nach Verbündeten. Und so wurde die Schar in Mirunas Gefolge im Verborgenen langsam immer größer.
Miruna macht eine Bekanntschaft
Auf einer ihrer Reisen in ein unbekanntes Land machte Miruna die Bekanntschaft mit dem Seher Wilk. Miruna hatte zuvor nur gehört, dass ein solcher Mann existieren solle. Wilk war aber mehr als ein bloß im Hier und Jetzt existierender Mann. Er war ein durch Materie Reisender, da er selbst aus aller Materie des Universums bestand und allwissend war. Er konnte die Zukunft sehen, deshalb wurde er gerufen, wenn es galt, Entscheidungen zu treffen. Und die Anführerinnen riefen ihn oft und gern.
Wilk hatte besondere Eigenschaften: er konnte nicht lügen. Und er durfte nie Partei ergreifen. Daher war er gezwungen, sich für die Belange aller einzusetzen. Aber klug und gewitzt war er auch. Daher machte er sich häufig einen Spaß aus der Ratlosigkeit der Fragenden und ließ sie mit seinen wahren, aber kaum verständlichen Prophezeiungen zurück und verschwand spurlos.
So kam es, dass Miruna bei einer Ratsversammlung anwesend war, zu der Wilk gerufen wurde. Man wusste nie wie lange man auf ihn dann warten musste und so schreckte die Meerjungfrau etwas auf als er plötzlich lachend zur Tür hereintrat. Sie blieb still während der Beratungen, sah ihn jedoch fortwährend an. Und obwohl er sie nicht ansah, wusste sie, dass er sie beobachtete. Nachdem er seine Bezahlung in Form eines riesigen Bechers Met genüsslich geleert hatte, dreht er sich zu Miruna um, sah ihr tief in die Augen und verschwand.
Ein Ruf ohne Worte
Miruna saß allein auf einer Sandbank. Sie musste ihn nicht rufen. Er kam von allein zu ihr. Sie verbrachten eine lange Zeit ohne ein Wort zu sprechen und unterhielten sich doch über so vieles. Zuerst wollte sie ihn nicht fragen, da sie sich ihrer Pläne zur Rückerlangung ihres Thrones sehr sicher war. Doch ein Risiko bleibt immer, dachte sie und bat ihn, in ihre Zukunft zu sehen.
Er wollte zuerst nicht, als Seher musste er allerdings. So blickte Wilk recht ungern durch Miruna hindurch und wieder zurück. Er sah sie siegen. Doch obwohl die Meerjungfrau eine liebenswerte Person war, würde ihre anschließende Regentschaft wegen ihrer Rachegefühle von noch größerer Tyrannei und Hass geprägt sein als die ihrer Mutter. Mirunas Krone verlieh ihr mehr Macht als jeder Herrscherin vor ihr. Was sollte Wilk nun tun? Lügen konnte er nicht, helfen und die Gefahr abwenden durfte er nicht.
So tat er etwas, was er zuvor noch nie getan hatte: er blieb still. Wilk sah Miruna nur lange an. Sie wusste nicht, ob er ihre Niederlage, ihren Sieg oder etwas anderes gesehen hatte. Sie spürte aber deutlich seine Zerrissenheit und verlangte nicht von ihm, was er nicht konnte oder durfte. So blieb auch sie still und sah ihn an. Sein Schweigen war ihr Auskunft genug.
Sie blieben lange gemeinsam auf dieser Sandbank. Sehr lange. Niemand weiß, ob sie nicht heute noch dort sitzen.
Copyright: Romy Marienfeld
Fotoshooting „Miruna und Wilk“
Konzept, Story, Idee: Romy Marienfeld
Models: Paula und Birjer
Fotos/Bildbearbeitung: Romy Marienfeld
Licht/Bildbearbeitung: Sebastian Gomon
Meerjungfrauenflosse/Kleid und Krone: Faunauge
Schulterrüstung/Rückenflosse: lokis_crow (Instagram)
Kleidung Wilk: Birjer, Paula, Romy
Hair Miruna: BrinxX Haarbude hat den grünen Zopf hervorragend eingeflochten
Make Up Miruna: Paula
Make Up Wilk: Romy Marienfeld